Mord im Burgtheater/ Text

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TEXTAUSZUG: Mord im Burgtheater. Ivan Stanev.

Schlußszene:

Melpomèna spinnt

Am 8. Mai pünktlich um acht
ging ich aus dem Haus,
Morgen, ihr Schweine,
jedem das seine,
ich hatte Grosses vor,
Stichwort: Gemetzel und Chaos,
ein Racheengel wird auf
reissen das Himmeltor
wird in die Luft jagen
DIE BURG, diese Motten
kiste…

Psst! Klappe halten unter der Tarn
kappe, du, Plauder
tasche! Habe ich Tasche gesagt?
Oh Gott! Die Mauser
pistole! Habe ich sie zuhause vergessen?
Nein, da ist sie, unterm Rock, im selbst
genähten Täschchen, oh mein süsses Pistolchen,
mein scharfes Gerätchen…

Sprich Deutsch, Walache!
Sei kein Frosch! Wo sind meine Spick
zettel? Neue Wörter für heute:
Schimmel statt Himmel,
ich schwöre Blutrache,
Amoklauf im Melpomene-Tempel,
eine Ratte wird um Gnade
betteln…

Schnell, die Spickzettel schlucken,
sich nicht verzetteln…Bloß nicht
blöd auffallen.. leise
lallen, das ist alles…

Oh Anachronismen
oh Anarcho-Mechanismen, Zeit
bomben im Zeit
raffer… Rück
blende: Am Anfang war die Schöpfung
ganz schön am Ende! Andere sagen
dem Gott platzte der Kragen. Der Ur
knall! Mein Kopf dreht sich
wie ein Feuerball, dreh-e-e-e,
tut weh-e-e-e

Ok, Junge, sachte,
sei ganz schön brav,
bis es kracht. Ee? Habe ich Junge
gesagt? Ich bin Manns
frau, die eiserne Jung
frau. Schau mal, die Donau,
die braune Soße, nicht blau, nee
hier wimmelts von See
schweinehunden, stolze Immobilien
haie drehen da und dort
eine Runde…

Im Grunde genommen
wollte ich nur Luft schnappen,
die Stadt zum letzten Mal
einfach geniessen, mal alles vergessen
sich gehen lassen, dann, wenn es
soweit ist, den Parasiten, die Fett
wanze RATZ RATZ
vor aller Augen erschiessen…

…also ging ich und ging
die Einkaufsmeile rauf und runter
es wurde immer munterer, kunter
bunterer, dick war die Frühlings
luft, stank nach sau
teurem Duft, im Kauf
rausch die stein
reichen Wiener, Gott mit euch,
ihr, geschminkte Leichen…

Wie ging der Walzer?

…das alte Wien
schick und schiiin
igitt igitt
das alte Sch-wien

Jetzt wohin? Komm zu uns Alter,
locken die Kassenschlager des Stummfilm
zeitalters. Das Kino ist leer. Stock
finster. Ups, es geht gleich los .
Die Untoten erscheinen! Lautlos
grinsend, weinend. Ihr wollt was
trinken anscheinend? Schwarzes Blut,
geronnenes? Gut, ihr bekommt von mir
einen Schluck Vergangenheit, mal was anderes,
etwas tiefgefrorenes. „Das Phantom der Oper“.
Das kommt mir bekannt vor. Ich
in der Theaterloge. Dann
„Der Panzerkreuzer Potemkin“. Ich auf der Hafen
treppe von Odessa. Dann „Die verlorene Welt“.
Ich breche als Dinosaurier aus
und verwüste London. Zum Schluss
„Die freudlose Gasse“. Ich, die mazedonische Garbo
in Wien. Die Bilder laufen in Endlos
schleifen aber die Zeit steht still.
Willkommen im Jenseits. Jetzt
reichts mir. Raus hier, weiter
laufen. Die Theater
karten kaufen…

Die erste Sackgasse links rein, dann
mit dem Kopf durch die Wand…Wo bin ich gelandet?
Was? Die Berggasse? Krass. Hier hat Dr. Freud
sein Domizil. Spasses
halber werde ich mir eine Psycho
analyse verpassen lassen, kann ja nicht
schaden. Melpoména rekelt sich
auf der Couch. AUTSCH! Finger weg, Mann!
Hör auf zu fummeln. Der Alte ist Feuer
und Flamme. Ok, aber sag mir, bitte,
wo ist mein ES und mein ÜBER-ICH,
ich komme aus Kruschevo, das bedeutet Birne.
Als Untermensch kann ich mir
ein sensibles Unter
bewusstsein nicht leisten, ich bin völlig weich
in der Birne…
Möchtest du mich hypnotisieren? Gerne!

Erster Traum: Birnendorf in Flammen.
Die Türken morden und vergewaltigen.
Meine Mutter hat mich unter der Brücke
im eiskalten Wasser versteckt. Ich bin vier
Jahre alt. Lerne fleissig
wie man mit den Zähnen klappert.
Va s-cãntu, werde singen auf aaa
rumänisch:

Tatã a nostru
cai eshci pi tser,
s-ayisascã numa a Ta,
s-yinã Amirãrilja a Ta,
s-facã vreare-a Ta,
cum pi tserlu,
ashi sh-pisti loc.

Plötzlich knurrt mir der Magen. Alle sagen,
im Gasthaus Rosenberg sei der Kaiserschmarrn
besonders lecker. Bist du dir sicher? Ein Mittags
menü, bitte. Aber im Nu! Das Besteck einzig
artig: Hammer und Sichel. Das gibt’s doch
gar nicht! Überall herrscht Kuddel
muddel. Eine gigantische Mozart
kugel hängt von der Decke, macht
Tick-tack. An der Tagesordnung
gefährliche Ausrutscher. Wen wundert´s!
Das Parkett ist mit Apfelstrudel
besudelt. Das verstörte Schlitz
ohr am Tresen, das bin ich. Sitze
ziemlich verloren. Mir fliegen
die Wiener Schnitzel
um die Ohren. Das Wasser steht mir
bis zum Hals! Na, Hanswurst,
da hast du den Salat!

Wen haben wir denn da? Todor Panica!
Tanzt Black Bottom mit Frau Panica!
Stampfen wie Kühe im Schlamm.
Immer mit der Ruhe. Keine Panik!
Ich werde dich später erschiessen!
Darf ich mich der netten Runde an
schliessen? Heute spielen wir Katze und Maus. Klar,
Leute? Jetzt raus hier. Die machen einen wahnsinnig,
die Balkanesen! Da knutsch´ich lieber
mit meinem Pekinesen.

Dann gingen wir Hüte kaufen. Ich und Ihre Exzellenz
meine Schattenexistenz. Im Modeladen tummelte sich
die ganze Wiener Moderne. Die berühmt
berüchtigten Gespenster! Wie hättet ihr es gerne?
Wollüstig? Schwülstig finster? Die Femme fatale da, die Matrone,
die kenne ich. Sie steht auf Blattgold
und schwere Stoffe. Grüß dich, Alma Mahler!
Gustav Klimt, der Maler, macht ihr den Hof,
du Schuft, eh! Hinter ihm stehen Schlange
lauter illustre Grufties:
Werfel, Berg, Kokoschka, Zemlinsky
Gropius, Schönberg, Strauss, Strawinsky…Die Liste ist lang.
Der Wiener Ball der toten Ikonen. Darf ich sie zum Tanz
einladen? Bin Lady Bin-Laden.

Marsch, Radezky, cha-cha-cha,
Harsche Töne! Donnern Do Do Do
Schick und schiiin
mein swinging Schwien.
Tusch! Schluss mit der Verarsche!

Das nenne ich Karma, Alma! Jede von uns
sitzt in ihrer Zeitmaschine und wir rasen
aneinander vorbei. Du, die Muse des geistigen Adels.
Ich, die Muse des schreienden Elends.
Mir graut´s vor dir, dir – vor mir!
Und ein Happyend
wird es nicht
geben.

Auf einmal ergreift mich der brennende Wunsch
im Trüben zu fischen. Da drüben, im Burgtheater!
Im brodelnden Meer der Gefühle.Eine Angel
werd´ ich mir irgendwie basteln. Dann völlig
ausrasten! Schau mal! Die grossen Mimen!
Ahmen die Katastrophe nach! Na, ihr Memmen?!
Der Weltuntergang steht seit einer Ewigkeit
auf dem Spielplan. Eine Kot
fliege zappelt im Spinnennetz!
Ha! Der Zeitgeist! In der Zeit gefangen.
Saugt dreist Bilder aus dem Netz. „Peer Gynt“, 5. Akt.
Einsame Spitze! Super Spezialeffekte!

Vorhang auf
für den Tod! Er ist der Armen
tägliches Brot!

Alles hält inne! Eine gewaltige Spinne
läuft über die Bretter! Donnerwetter! Der Rachegott
aus der Maschine! Panica, jetzt wird’s richtig eng
in der Loge! Peng Peng Peng
Peng Peng Peng
Peng

Na, ihr Spinner?

Findet ihr das wirklich tragisch? Wirklich? Oder sau
komisch? Oder wirkt die Wirklichkeit
fast immer idiotisch?

Rückblende und Zeitlupe:

Melpoména, die tragische Muse,
die bekloppte Heulsuse,
läuft durch die Stadt Wien
wiehert und jammert
wie es nur manche Erinnyen
können…Ein starker Gegen
wind wirft sie zurück
in die Steinzeit, die Aktien
kurse fallen, eine miese Stimmung
macht sich urplötzlich breit…
Wir schreiben das Jahr 1925.
Die Tragödie bahnt sich
an. Mann o Mann!

Abends dann
ins Theater!